„Dreimal ist Bremer Recht“ – so mein Gedanke, als ich mich letzten Freitag auf den Drahtesel schwang, um nun endlich die “Stadt-Land-Fluss-Tour” abzuradeln. Zweimal war ich in den letzten Wochen auf halbem Wege umgedreht, weil der Himmel sich zuzog.
Tatsächlich hatte ich diese „Thementour“ der Elbtalaue-Wendland Touristik schon seit letzten Sommer auf dem Plan. Auch am Freitag sah der Himmel zunächst eher nach ergiebigem Regen als nach Sonnenschein aus. Egal. Erst mal los!
Knapp 50 Kilometer plane Strecke sieht die Thementour vor. Als Ausgangspunkt ist Dannenberg oder Hitzacker vorgeschlagen. Ich startete in Dannenberg und radelte über Pisselberg nach Hitzacker.
In Hitzacker angekommen schlug ich erst einmal ein wenig Zeit tot. Denn die Wolken über mir wurden zunehmend dunkler und ich konnte mich nicht gleich entscheiden, ob ich nun wirklich die große Runde wagen sollte. Also erst einmal einen Coffee-to-go geschlürft, auf der Stadtinsel das Rätsel des August-Barge-Schildes gelöst und ein paar der bunten alten Haustüren besichtigt, die ich so liebe.
Bei der Gelegenheit entdeckte ich eine Windrose im Straßenpflaster der Elbstraße. Ist mir vorher nie aufgefallen.
Das Wetter wurde leider nicht besser. Aber warten wollte ich nun auch nicht länger, also rauf auf die Fähre, die täglich von 9 bis18 Uhr zwischen Hitzacker (Niedersachsen) und Bitter (Mecklenburg-Vorpommern) verkehrt – nach Vereinbarung übrigens auch darüberhinaus (Tel.: 0160-5960668).

Fähranleger Bitter: Nein, dies ist keine Abendstimmung – auch wenn es so aussieht. Das Foto entstand um die Mittagszeit.
Hier führte die Strecke auf dem Elberadweg ganz entspannt bis ins etwa 21 Kilometer entfernte Dömitz. Ich war überhaupt zum ersten Mal auf dieser Seite der Elbe. Die Häuser entlang der Strecke, die sich zu DDR-Zeiten im unmittelbaren Grenzgebiet befanden, stehen größtenteils direkt am Deich bzw. direkt am Radweg. Klassische Vorgärten oder Zäune gibt es kaum. Stattdessen fielen mir die vielen wunderschönen Apfel- und anderen Obstbäume auf, die vor vielen Häusern stehen. Und ich registrierte die Weite. Und die Einsamkeit.
Um wieviel einsamer und isolierter mag sich das Leben hier zu Zeiten der innerdeutschen Teilung angefühlt haben? Insbesondere im Ort Rüterberg, der ab 1967 komplett von Grenzsicherungsanlagen umschlossen war. Die rund 150 Bewohner des Ortes kamen nur durch ein streng bewachtes Grenztor und unter Vorlage ihres Ausweises in ihr eigenes Dorf. Besucher brauchten eine Sondererlaubnis. Und zwischen 23 Uhr und dem Morgengrauen war der Ort komplett dicht. Schwer vorstellbar, auf Dauer so zu leben. Die Rüterberger haben’s 22 Jahre getan.
Es setzte leichter Nieselregen ein. Ein heißer Tipp für solche Phasen, in denen man sich vom Schmuddelwetter ablenken möchte oder es außer Deich und Grün und dunklem Himmel nicht viel zu sehen gibt: Ich stelle mir dann mit Begeisterung vor, dass ich in meinem persönlichen riesigen Freilichtmuseum unterwegs bin und dass die Fenster der Privathäuser, an denen ich vorbeiradle, eigentlich außergewöhnliche Museumsvitrinen sind. So wie dieses hier – was haben die Bewohner da denn Hübsches ausgestellt?

Nur für mich haben die Bewohner dieses Hauses etwas auf ihrer Fensterbank ausgestellt. Was ist es nur?
Erst mal näher rangehen.

Ausstellungsstück im Fenster: ein Schneefuchs? Irgendein Mardertier? Wer stellt sich so etwas auf die Fensterbank?
Weiter nach Strachau.
Es sieht aus wie ein rot eingefärbter Teilabdruck eines opulenten Hinterns, der in einem Holzgestell zum Trocknen hängt. Es heißt „Grosser Schrein“, ist eine bildhauerische Arbeit von Klaus Großkopf und steht direkt am Strachauer Ortseingang am Radweg. Ich erinnerte mich urplötzlich an ein lesenswertes Porträt von Klaus Großkopf, das vor Jahren im Magazin Zero zu lesen war. Entschied sich der Autor des Porträts Karl-Heinz Farni damals nicht für einen Besuch bei Großkopf, nachdem er minutenlang beseelt einen steinernen Arsch von Großkopf in Händen gehalten hatte?
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt der private Skulpturengarten von Klaus Großkopf und Barbara Westphal.
Der Skulpturengarten ist – soweit ich weiß – nicht öffentlich zugänglich. Aber man kann auch vom Radweg aus zwischen den alten Obstbäumen die unterschiedlichsten Skulpturen entdecken.

Ein weiteres interessantes Ausstellungsstück in einem privaten Vorgarten: ein mit Glasscheiben aufgemotzter Beton-Blumenkasten.
Eine willkommene Abwechslung zur Deich-Einsamkeit: eine Schafherde mit – wie mir einer der begleitenden drei Schäfer sagte – über 1000 (!) Tieren, die an mir vorbeigetrieben wurde.
Auf meine Frage, wo es denn nun hingehe für die Tiere, antwortete er mit todernster Miene: „Nach Hamburg. Die wollen alle zur Reeperbahn.“ Ah, ja.
In Wehningen machte ich einen kleinen Abstecher zur Kapelle. Irgendwo hatte ich gelesen, dass sich in den Ziegeln rechts und links des Eingangs Pfotenabdrücke von Hund oder Katze befinden sollen. Tatsächlich!
Die Pfotenabdrucke sollen als „Bannzeichen“ gedient haben, heißt es. Die Küsterin, die vor der Kapelle gerade am Teppichklopfen war, mochte dies nicht bestätigen.
Ganz in der Nähe des Radwegs stieß ich auf einen auffallend imposanten Pfeiler. Ein Solitär. Die rostigen Scharniere an einer Seite wiesen aber darauf hin, dass zu diesem Pfeiler einmal ein Zwilling mit entsprechender Tordurchfahrt gehört haben muß.

Wehningen: imposanter übermannshoher Pfeiler einer früheren Tordurchfahrt. Sein Zwilling steht nicht mehr.
Fast vom Grün verdeckt, findet sich ganz in der Nähe der steinerne Torbogen des früheren Wasserschlosses Wehningen.
Die Geschichte des Schlosses Wehningen reicht bis ins Jahr 1285 zurück. Damals war es der Sitz des Raubritters Riebe, der gegen Ende des 13. Jahrhunderts die gesamte Griese-Gegend in Angst und Schrecken versetzte, die Landstraßen unsicher machte und durchziehende Kaufleute und Händler ausraubte. Ab 1842 kam das Schloß in den Besitz des Grafen von Bernstorffs. Heute ist vom Schloß allerdings kaum mehr etwas über: 1979 wurde es aus Gründen der „Staatssicherung“ abgerissen und komplett eingeebnet.
Eine Infotafel erinnert an das frühere Schloss Wehningen. Auf der hier zu sehenden historischen Aufnahme ist noch einmal der bis heute bestehende Torbogen zu sehen – links dahinter das Schloss.
Weiter nach Rüterberg. Auf die Geschichte der früheren „Dorfrepublik Rüterberg“ hatte ich keine große Lust, darum ließ ich das kleine Heimatmuseum des Ortes links liegen. Ich bestieg den kleinen Aussichtsturm des Ortes, der einen schönen weiten Blick über das Elbvorland lieferte. Ansonsten erfreute ich mich insbesondere an den Bemühungen der Rüterberger, ihren Gästen das gewisse Etwas zu bieten – siehe Foto unten.
Auf abwechslungsreichen Wegen – mal war es Sand-, mal Schotterpiste, mal ging es am Deich entlang, mal durch ein Waldstück – gelangte ich bis nach Dömitz. Kurzer Abstecher zur Festung Dömitz, im norddeutschen Raum eine der wenigen erhaltenen Flachlandfestungen des 16. Jahrhunderts.
Von Dömitz aus ging es über die Dömitzer Brücke wieder auf die Heimreise gen Niedersachsen. Bei doofem Gegenwind und mittlerweile ziemlich müden Radler-Beinen fuhr ich einen Schlenker über Langendorf und Quickborn und zurück nach Dannenberg.
Alle Bilder des Tages gibt es hier.