Der gemeine Lüchower mag’s rund. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Klein(st)stadt Lüchow allein in Zusammenhang mit der Ortsumgehungsstrasse sage-und-schreibe fünf neue Kreisel bekommen hat? Zweitliebstes der Lüchower (und nicht nur dieser – mindestens ich gehöre ebenfalls zu den erklärten Fans) sind die Rundlinge.
Von diesen “in die Runde gebauten” Dörfer gibt es in Lüchow-Dannenberg immer noch mehr als 100. Viele sind unverkennbare Rundlingsdörfer, andere sind eher “Dörfer mit Rundlingsgeschichte”. Mit 15 von ihnen – pars pro toto – bemüht sich die Stadt Lüchow um eine Anerkennung als UNESCO-Welterbe.
(Nachtrag vom 8. Sept. 2013: Die Samtgemeinde Lüchow plant inzwischen, in ihrer Bewerbung anstelle des Ensembles von 15 ausgewählten „schönen“ Rundlingsdörfern den Schwerpunkt noch deutlicher auf die besondere „Siedlungs- und Kulturlandschaft“ zu legen – denn „schöne“ Dörfer mit „schönen“ niederdeutschen Hallenhäusern gibt es anderswo auch. Das von der Samtgemeinde beauftragte Wissenschaftlerteam vom „Institut für Heritage Management“ der TU Cottbus hat zu diesem Zweck eine zusammenhängende „Kernzone“ definiert, in der sich ausschließlich Rundlingsdörfer befinden, konkret: 19 Stück an der Zahl! Hierbei handelt es sich um einen ersten Vorschlag, der in den kommenden Wochen mit allen Beteiligten diskutiert werden soll.)
In meinen letzten Urlaubstagen Ende August machte ich mich auf den Weg, die „Rundlingstour“ der Elbtalaue-Wendland Touristik (EWT) mit dem Fahrrad zu erkunden. Erneut – wie schon bei meiner Amphibientour – lautete die Parole: familienfreundlich, keine Steigungen. Perfekt.
Die Infos zu den einzelnen Rundlingen, die die Radwanderkarte der EWT enthielt, war allerdings eher mager. Schnell noch zur Gästeinfo am Lüchower Busbahnhof: „Rundlinge? Nee, dazu haben wir nichts…“, bedauerte die Mitarbeiterin der Infostelle. Und das in der Stadt, die ihre Rundlinge zum WELTERBE erklären lassen will, dachte ich einigermaßen entnervt. Dann fiel der sympathischen Frau jedoch das vierseitige einfach zusammengeheftete DIN A4-Merkblatt „Rundlingsdörfer im Wendland“ ein, das sie „für alle Fälle“ immer unter ihrem Tresen griffbereit hat. Netterweise warf sie dieses schnell auf den Kopierer – und so hatte ich die Kurzporträts von 24 Rundlingsdörfern im Gepäck. Mehr brauchte ich erst mal nicht.
Zweiständer-, Dreiständer-, Vierständerbauweise… Mit den bautechnischen Feinheiten wollte ich mich bei meiner Tour nicht allzusehr aufhalten – ich wollte bei einer ausgedehnten Radtour vor allem „schöne“ Rundlinge und „alte“ Hallenhäuser sehen.
Und ich genoß erneut die Weite und die wunderbare Möglichkeit, für ein, zwei oder drei Stunden durch die spätsommerliche Landschaft zu radeln und (so gut wie) keiner Menschenseele zu begegnen. So wie hier auf der Strecke zwischen Jeetzel und Klennow.
So aufwändig der “Flächenlandkreis” Lüchow-Dannenberg manche Dinge, wie z. B. einen funktionierenden ÖPNV, machen mag, so traumhaft ist die Weite und Einsamkeit der Landschaft, die ich hier beim Wandern und Radwandern erlebe. Eine Klosterzelle ist nichts dagegen. Meditation in der Natur. Auf dem Drahtesel. Für mich funktioniert’s.
Hallenhäuser – korrekt eigentlich „Niederdeutsche Hallenhäuser“ genannt. Diese Hausform mit den oft farbenprächtig ausgestalteten Giebeln scheint im Wendland untrennbar mit den Rundlingen verbunden zu sein. Aber diese Ehe aus spezifischer Haus- und Dorfform ist wohl tatsächlich nicht zwingend, wie Prof. Dr. Wolfgang Meibeyer in seinem Beitrag im Wendland Lexikon erläutert. (Okay, okay, im Anschluß an meinen Rundlingstour hatte ich das Bedürfnis, mich ein bißchen schlau zu lesen.) Das zeigen Beispiele aus der Prignitz oder der Altmark, wo das Hallenhaus ab dem 18. Jahrhundert durch sogenannte Querdielenhäuser ersetzt wurde – keine Ahnung, was das für Häuser sind… Jedenfalls stehen diese – anders als die Hallenhäuser in den wendländischen Rundlingen – nicht mit der Giebelseite, sondern mit der Traufseite zum Dorfplatz. Was dazu führt, dass man dort Rundlingsdörfer kaum noch als solche erkennen kann. Aha.
Das besondere am Hallenhaus ist, dass es ein sogenanntes „Einhaus“ ist. Der Wohnraum, die Ställe und auch das Lager für die Ernte in sind in einem Haus untergebracht. Familie und Viehzeug unter einem Dach: Was man da an Heizkosten sparen kann! Oder bringt das gar nicht so viel in Sachen Wärmeentwicklung? Mir fehlen da die Erfahrungswerte. Wie es aussehen kann, wenn der ursprüngliche Charakter eines „Einhauses“ in einem heutigen Hallenhaus wieder hergestellt wird, zeigt Nadja in ihrem Blog „So bunt das Leben“.
In Klennow entdeckte ich im übrigen mein Lieblingshallenhaus. Ich kann gar nicht genau sagen, was mich daran so ansprach. Jedenfalls würde ich dort morgen spontan einziehen – wenn man mich ließe.
Je länger ich unterwegs war, desto weniger reichte es mir, einfach nur „schöne“ Rundlinge zu sehen oder Häuser, die offensichtlich „alt“ waren oder sogar „schön alt“ – und davon gab es natürlich eine Menge. Ich wünschte mir, ich hätte einen Rundlingskenner dabei, der mir die Besonderheiten nahebrachte, die ich Ahnungslose zwangsläufig übersehen musste.
Mehr und mehr fielen mir nun neben den „schönen“ Häusern auch die einzelnen Häuser auf, die scheinbar das Rundlingsidyll störten: ehemalige Hallenhäuser, die umgebaut und dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst worden waren.
Es muß eine Zeit gegeben haben, in der Fachwerk irgendwie “out” war. In der Klinker irgendwie schicker erschien.
Oder Eternit.
Vielleicht war es auch nur einfach billiger, die Fronten der Häuser mit Eternit zu verkleiden als ganze unansehnliche oder vergammelte Balken auszutauschen.
Sehenswert auch dieses rund 100 Jahre alte Haus, das im Rundling Güstritz steht! Im Wendland-Archiv trägt dieses Haus den Namen „Rübenburg“. Ob hier ein Güstritzer Bauer dank seiner Zuckerrüben zu Geld gekommen ist und sich damit seine eigene kleine Burg gebaut hat?
In Schwiepke hatte ich meine ganz eigene Clint-Eastwood-Erfahrung. Kaum war ich ins Dorf geradelt und hatte meine Kamera hervorgekramt, da sah ich am Horizont ein schemenhaftes Etwas stehen. Ich ging einige Schritte darauf zu, blieb stehen. Das Etwas machte ein paar Schritte in meine Richtung und verharrte ebenfalls. Jetzt erkannte ich, dass es sich um eine kleine Dorfoma handelte. Breitbeinig stand sie in ihrer Kittelschürze mitten auf der Straße. Außer Schussreichweite, dachte ich gerade noch. Ich machte einen Schritt ins Dorf – Oma machte einen in die gleiche Richtung. Ich machte eine Kehrtwende in die entgegensetzte Richtung. Oma folgte.
Ich entschied, mich von Oma nicht weiter provozieren irritieren zu lassen und begann, meine kleine Fotorunde durchs Dorf zu machen. Die Kleine folgte mir auf Schritt und Tritt. Immer in sicherer Distanz, immer breitbeinig, als hätte sie Stunden im Sattel gesessen. Und voller Misstrauen.
Angenommen, die wendländischen Rundlinge werden tatsächlich Welterbe. Angenommen, es kommen dann nicht nur vereinzelte Touris in Omas Rundling, sondern ganze Busladungen. Mag sein, dass Oma dann nicht mehr lebt, denn mit einer Anerkennung wäre frühestens im Jahr 2020 zu rechnen. Über die positiven Effekte für den regionalen Tourismus, aber auch die möglichen negativen schreibt Rolf Diekmann anschaulich in seinem Beitrag „Erbschaft für uns alle“ in einer „Landluft Spezial“. Dass die Chancen überwiegen, davon ist Dr. Arne Lucke überzeugt. In der Landluft-Sonderbeilage gibt es ein lesenswertes Interview mit dem langjährigen Lüchow-Dannenberger Kreisarchäologen. Einzelne Exemplare dieses „Rundlingsheftes“ sind übrigens bei der Stadt Lüchow (Wendland) und bei der Denkmalpflege des Landkreises Lüchow-Dannenberg erhältlich.
Meine Tour startete in Lüchow und führte mich über Jeetzel, Klennow, Güstritz, Satemin…
Jabel, Meuchefitz…
Schwiepke…
…nach Küsten.
Von hier hätte ich – laut Karte – eigentlich gen Osten nach Lübeln und dann zurück nach Lüchow fahren sollen. Ich entschied mich stattdessen für die „Nordroute“ und fuhr über Karmitz, Platenlaase und Jameln (auch alles Rundlingsdörfer) nach Dannenberg.
Alle Bilder meiner „Rundlingstour“ gibt es hier.