Seit ich lesen kann, also seit ungefähr 36 Jahren, treibt mich allsommerlich die Sorge um, mir könnte mitten in den Sommerferien / im Sommerurlaub der für die Sommererholung so dringend benötigte Lesestoff ausgehen.
Darum habe ich es mir vor einigen Jahren zur Gewohnheit gemacht, rechtzeitig zum Beginn der freien Zeit einen dickes Bücherpaket bei meinem Lieblingsdealer zu bestellen. Meist lasse ich mich bei der Zusammenstellung der „Sommerbücher“ von irgendwelchen Empfehlungen aus dem Spiegel oder der Brigitte inspirieren. Oder der ZEIT, die diesmal so schön titelte: „Zur Sonne, zu den Büchern“. (Aus der ZEIT-Liste werde ich voraussichtlich einen Großteil meiner „Weihnachtsbücher“ rekrutieren…).
In diesem Sommer stammt meine Bücher-Auswahl in Teilen allerdings aus irgendeiner namenlosen Frauenzeitschrift. Ergänzt durch zwei meiner aktuellen LieblingsautorInnen. Natürlich gehört Margaret Atwood dazu: „Tipps für die Wildnis“ (Wird für meinen Geschmack Zeit, dass Frau Atwood nach „Oryx und Crake“ und „Die Flut“ mal wieder Neues auf den Markt bringt). Und von Kristof Magnusson, von dem ich schon das sehr unterhaltsame „Das war ich nicht“ gelesen habe, kam der Roman „Zuhause“ dazu.
Aktuell fräse ich mich durch „Silver Linings“ von Matthew Quick. Worum es geht: Pat kommt nach Monaten aus der Psychiatrie nachhause, zieht bei seinen Eltern ein, denn er hat alles verloren: seinen Job, sein Haus, seine Frau – und seine Erinnerung an die letzten Jahre. Nur eins treibt ihn an und um: seine Ehefrau Nikki zurück zu gewinnen. Geradezu mit Besessenheit arbeitet er an seiner Selbstoptimierung: stemmt Gewichte, läuft meilenweit und bemüht sich zu lernen „besser nett zu sein als recht zu haben“. Denn er glaubt an „Silver Linings“, zu deutsch: den Silberstreifen am Horizont. Hier ein Auszug:
„Ja, ich glaube wirklich an Silberstreifen, hauptsächlich, weil ich sie fast jeden Tag sehe, wenn ich aus dem Keller auftauche, Kopf und Arme in einen Müllsack schiebe – damit mein Rumpf von Plastik umhüllt ist und ich stärker schwitze – und laufen gehe. Ich versuche, den täglichen Zehnmeilenlauf meines zehnstündigen Trainingsprogramms immer auf Sonnenuntergang zu legen, damit ich am Ende in westlicher Richtung an den Spielfeldern vom Knight’s Park vorbeilaufen kann, wo ich als Kind Baseball und Fußball gespielt habe.
Währendich durch den Park trabe, blicke ich hoch und sehe, was der Tag prophezeiungstechnisch zu bieten hat.
Wenn Wolken die Sonne verbergen, gibt es immer irgendwo einen Silberstreifen, der mich ermahnt, nicht aufzugeben, weil ich weiß, dass meine Frau zu mir zurückkommt, auch wenn die Lage im Augenblick düster aussieht. Es ist elektrisierend zu sehen, wie das Licht diese fluffigen weißen oder grauen Wattebausche hell umrandet.“
Silver Linings: eine Tragikomödie, die sich locker runterlesen läßt. Mal spaßig-unterhaltsam, mal quälend zu lesen wie Pat vergeblich um die Aufmerksamkeit seines Vaters ringt. Und wiederholt stellt sich die Frage, wer der psychisch Kranke ist: Pat, der monatelang in der Psychiatrie war und weiterhin in Behandlung ist, oder sein Vater, dessen Gemütsleben unmittelbar von den Spielergebnissen seines Lieblings-Footballteams abzuhängen scheint. So oder so: Zuletzt erweist es sich als ungemein tröstlich zu sehen, dass es auch für die Verkorksten unter uns ein Happy End geben kann.